Wir sind komplett. Anfangs Woche landeten Grischa, Hanna und Daria in Yaoundé. Joël und ich holten sie am Flughafen ab. Wie eine erfahrene Kamerunreisende kam ich mir vor, erklärte den neu Eingetroffenen, wie das so läuft hier, welche Gebäude von wem gebaut wurden, und wo man was finden kann – bis ich realisierte, dass ich ja selbst erst einige Tage in Kamerun bin. Wahrscheinlich liegt das an meiner neu erworbenen afrikanischen Haarpracht.
Es kommt mir vor, als wäre ich schon seit Monaten hier. Die Zeit läuft in Afrika irgendwie anders. Wir haben keinen immer gleich verlaufenden Alltag. Jeder Tag bringt Neues. Jeden Abend besprechen wir, wie der nächste Tag ablaufen soll. Und dann kommt es doch immer wieder anders. Die Ereignisse überschlagen sich. So müssen kurzerhand Anzüge und Kleider geschneidert werden, da ein Mitarbeiter von Viens et Vois bald eine Diplomfeier hat. Selbst abholen können wir die Kleider nicht, dafür fehlt uns die Zeit. Jeden Moment könnte der lang herbeigesehnte Container aus der Schweiz eintreffen. Für das Augenoptiker-Projekt ist da allerlei Wichtiges drin: Maschinen, Fassungen, Computer. Für die Verteilung muss viel Administratives vorbereitet werden. Auch Verhandlungen über Zusammenarbeiten stehen an. Das bedeutet noch mehr Papierkram. Darüber bin ich nicht traurig, denn zu Beginn der Reise plagte mich der Gedanke, keine Aufgabe zu haben. Dann wären die Tage lang geworden. Nun freue ich mich, mein kaufmännisches Wissen einbringen zu können. Doch meine Vorstellung von einem gemächlichen Leben in Kamerun erwies sich rasch als falsch. Wir haben zwei Monate Zeit, um die Arbeit der letzten drei Jahre nach- und für die nächsten paar Jahre vorzuholen. Umso wichtiger sind Ruhe- und Enspannungszeiten. Die verbringen wir dann zum Beispiel im Golfclub (wo es echt guten Kaffee gibt), auf dem Mont Febé oder in Susi’s Bar im Bastos Quartier.
Oder wir lassen uns die Haare flechten, was uns dann viereinhalb Stunden Ruhe verschafft. Angekündigt werden dafür zwar jeweils zwei Stunden, aber wie gesagt, die Zeit läuft hier anders als in Europa. Vier Stunden Auszeit vom Trouble unserer Wohngemeinschaft mit neun Personen sind Gold wert. Auch unsere Haushaltshilfe ist ein wahres Geschenk. Sie verhindert, dass sich die neun Personen in die frisch geflochtenen Haare kriegen. Es ist ungewohnt, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen, wird jedoch erwartet. Schliesslich sind wir hellhäutig und haben demzufolge viel Geld. Wenn man bedenkt, dass vier Stunden frisieren beim Coiffeur umgerechnet CHF 18.- kosten, stimmt das wohl auch.
Es gäbe noch so viel zu erzählen. Wir erleben eine aufregende Zeit und ich hoffe, ihr kriegt durch diese Blogeinträge ein wenig davon zu spüren.
Herzliche Grüsse aus Susi’s Bar in Bastos,
Anika
Ps: Inzwischen ist der Container eingetroffen. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich das nächste Mal erzähle, sobald unsere Nerven wieder beruhigt sind…