Inzwischen hat sich so etwas wie ein Alltag bei uns eingependelt. Obwohl Alltag in Kamerun ein etwas weit hergeholter Begriff ist. Wie schon in vergangenen Einträgen erwähnt, ist das mit der Tagesplanung immer so eine Sache. Unsere Tage sind geprägt von unerwarteten Wendungen, Besuchen, Arbeiten. Dabei müssen wir sehr flexibel sein. Meinen Nerven tut das nicht sonderlich gut. Ich bin ein sehr strukturierter Mensch, der gleichzeitig viel Raum für Erholung benötigt. Weder Struktur noch viel Freizeit sind hier ein Thema. So benötigt das Sortieren von Kleidern im Container doppelt so lange, da gleichzeitig darauf geschaut werden muss, dass niemand etwas stiehlt. In diesem Fall gelang uns das nicht und wir erlitten einen grösseren finanziellen Schaden durch Diebstahl. Joël wiederum musste dann viel Zeit investieren, um mich wieder zu beruhigen. Bis jetzt fehlte mir das Verständnis für diese dreisten Diebe. Doch dann habe ich herausgefunden, dass ein Familienvater, der als Bauarbeiter arbeitet, gerade einmal Fr. 2.70 pro Tag verdient. Wie soll er Verständnis für uns Weisse aufbringen, die nichts aus dem Container auf der Strasse verschenken wollen, wenn er kaum im Stande ist, seine Familie zu ernähren? Und doch müssen wir weise handeln. Schenken wir einem Einzelnen etwas, wollen gleich Hunderte auch davon. Dann bleiben wir aber auf den hohen Containerkosten sitzen. Die erwähnten Kleider werden jedoch nicht verkauft, was die Menschen natürlich nicht sehen können. Wir planen einen Einsatz in Gefängnis und werden sie da zusammen mit Lesebrillen verteilen.
Wie man sieht, leben wir in einem ständigen ethischen Konflikt. Ist es in Ordnung, den sozial schwächeren Menschen vor der Haustüre nicht zu helfen, wenn die Hilfe anderen zugute kommt? Ist es in Ordnung, Material zu verkaufen statt zu verschenken, um angefallene Kosten wieder rein zu holen?
In der Schweiz kenne ich solche Fragen nicht. Ich setze mich höchsten damit auseinander, ob ich im Winter Erdbeeren, Kleider aus China oder Produkte von Néstle kaufen soll oder nicht. Apropos Néstle. Joël und ich achten grundsätzlich darauf, die Machenschaften der Firma nicht zu unterstützen. Ein unmögliches Unterfangen in Kamerun, ausser man würde auf jeglichen Luxus wie Kaffee, Maggiwürfel oder Trinkwasser verzichten. Man verzeihe uns, dass wir hier eine Ausnahme vom Néstle-Boykott machen.

Um nochmals auf den Alltag zurück zu kommen: Ich möchte unseren zwei Begleiterinnen, Hanna und Daria, eine besonderes Kränzlein winden. Sie sind stets bereit, jede Arbeit für Komm und Sieh auszuführen, haben viel Geduld mit Joël und Grischa und vor allem mit meiner Ungeduld. Ich danke euch von Herzen für euren selbstlosen Einsatz – Très nyanga!!!

Bis bald wieder,
Anika